Rechenschwäche: Beobachtungshinweise für Eltern und Lehrer
Woran kann man das Vorliegen einer Rechenschwäche erkennen?
Rechenfehler kommen normalerweise besonders dann vor, wenn neue schulische Inhalte erlernt werden müssen. Rechenschwache Schüler zeichnen sich aber dadurch aus, dass ihnen diese Fehler sehr häufig und nachhaltig unterlaufen und dass die Fehler oft auf den ersten Blick zu unsinnigen Ergebnissen führen, ohne dass dem Kind die Unsinnigkeit bewusst wird. Im schulischen Verlauf wird die Kluft zwischen dem Kenntnisstand der Kinder und den Anforderungen immer größer, die schulischen Aufgaben daher für die Kinder immer weniger leistbar. Zu beobachten ist zunächst das anhaltende schulische Versagen, und dies trotz hohem Übungsaufwand.
Eine genauere Analyse der von Eltern oder Lehrer beobachtbaren Fehlleistungen kann Aufschluss darüber geben, ob möglicherweise eine Rechenschwäche vorliegt. Erhärtet sich der Verdacht, ist eine qualitative Förderdiagnostik notwendig.
Beispiele für beobachtbare Fehler, die aus einem fehlendem Mengen- und Größenverständnis heraus entstehen
- Mengen können nicht eingeschätzt werden.
- Es gibt noch keine tragbare Vorstellung zur Bestimmung einer Menge. Die Größe einer Menge wird noch fälschlich von deren Ausdehnung oder der Größe darin enthaltener Objekte abhängig gemacht.
- Der Vergleich von Mengen ist durch inkorrekte Nutzung der dazu notwendigen Vergleichswörter größer / kleiner, länger / kürzer, mehr / weniger, älter / jünger usw. erschwert oder unmöglich
- Den Zahlwörtern kann keine eindeutige Menge zugeordnet werden.
- Das schnelle Erfassen kleiner, überschaubarer Mengen gelingt nicht
- Unsinnige Lösungen werden nicht erkannt.
- Der innere Zusammenhang der Zahlen ist noch ungeklärt. Logische Schlüsse sind daher rechnerisch nicht nutzbar z.B. „5+4 ist eins mehr als 5+3“.
- Zahlen werden begriffslos miteinander verknüpft z.B. „3 Eis und 3 Kinder sind 6 Eis“, „4 Euro und 3 Cent sind 7 Euro“.
- Fehlender oder fehlerhafter Umgang mit Zeit, Geld, Längen etc.
Rechenschwache Kinder sind aufgrund der fehlenden Konzepte zu Menge und Größe häufig „zählende Rechner“. Das Fingerrechnen ist beim Rechenerwerb zunächst natürliche Zählhilfe, problematisch wird es dann, wenn sich die Kinder trotz häufigem Zahlumgang nicht vom Fingerrechnen lösen können, dabei Größenanalogien und Handlungsverständnis nicht entwickeln können; das Rechnen bleibt damit auf das Abzählen z.B. der Finger auf Dauer begrenzt.
Beispiele für beobachtbare Zählstrategien und daraus möglicherweise resultierenden Zählfehlern:
- Das Abzählen von Objekten gelingt nicht.
- Zählen beginnt immer bei 1 z.B. bei 5+3 wird von 1 bis 8 hoch gezählt.
- Bekannte Mengen werden immer wieder neu abgezählt.
- Zahlen werden übersprungen, insbesondere bei Zehnerübergängen.
- Rückwärtszählen gelingt nicht oder nur bei hohem Übungsaufwand.
- Das Zählen in größeren Schritten gelingt nicht.
- Zählfehler um eins.
- Fehlerhafter Umgang mit der Null.
Im schulischen Verlauf automatisieren die Kinder manche Rechenaufgaben oder verbessern oftmals ihre Zählstrategien so weit, dass ihr zählendes Vorgehen nicht mehr auffällt. Häufig wird den Kindern auch das Abzählen verboten, so dass sie dies heimlich tun; damit ist das offene Zählen nicht mehr beobachtbar, beobachtbar ist aber die verhältnismäßig lange Zeit, bis die Kinder ein Ergebnis ermittelt haben, und dass sie bereits ermittelte Ergebnisse nicht für neue Aufgaben nutzen / können.
Das begrifflos auswendig gelernte Zahlwissen oder das Verharren am abzählenden Vorgehen lässt die Entwicklung eines grundlegenden Verständnisses für die Rechenoperationen nicht zu.
Beispiele:
- Die Vergrößerung oder Verkleinerung von Mengen kann anschaulich-konkret vollzogen werden. Aber die Übersetzung in eine verallgemeinerbare Rechenoperation gelingt nicht.
- Zählhandlungen können nicht als Rechenoperation dargestellt werden. Das Kind ist dadurch unsicher, an welche Position das (abgezählte) Ergebnis innerhalb der Rechnung gehört.
- Zähl- und Rechenergebnis der Rechenaufgabe können differieren, ohne dass darin ein Fehler erkannt wird.
- Textaufgaben können nicht in eine mathematische Gleichung überführt werden.
- Vertauschen der Rechenzeichen.
- Wechsel von Rechenzeichen wird nicht beachtet.
- Der Zusammenhang der Rechenoperationen ist nicht verstanden.
- Analogiefehler: Die Vertauschung der Summanden wird auf Subtrahend und Minuend übertragen z.B. 6+2=2+6 oder 6-2=2-6. Auch das häufig fehlende Verständnis für die Rechenoperationen an sich spielt dabei eine wichtige Rolle.
Vor allem ab der 3.Grundschulklasse lassen sich häufig Fehler beim Umgang mit den „großen“ Zahlen beobachten. Auch fehlerhafter Umgang mit Größen wie Längen, Gewichte, Zeiten kann auf eine Rechenschwäche hindeuten.
Beispiele dafür, dass die Systematik des Stellenaufbaus nicht verstanden ist
- Die Zehnerbündelung kann nicht geleistet werden z.B. 10 Einer werden nicht als 1 Zehner behandelt. Entsprechend gelingt es nicht zu 1 Hunderter, 1 Tausender etc. eine Vorstellung über deren Größenverhältnisse aufzubauen.
- In der Folge werden die Stellenwerte nicht als Verzehnfachung des vorangegangenen Stellenwertes verstanden.
- Die Stellenwerte werden willkürlich miteinander verrechnet
- Die Stellenübergänge werden nicht oder fehlerhaft beachtet
- Beim schriftlichen Rechnen wird fehlerhaft untereinandergeschrieben.
- Das Umrechnen von Größen gelingt nicht.
Die Schwierigkeiten mit dem Schulfach Mathematik und der fehlende Umgang mit der Mächtigkeit von Quantitäten insgesamt führen auch im familiären Alltag und in der psychischen Entwicklung des Kindes zu Auffälligkeiten.
- Übungs- und Hausaufgabensituationen enden in beiderseitigem Frust, Wut, Trotzverhalten.
- Der problematische alltägliche Umgang mit Geld und auch Zeit belastet das Familienleben.
- Das Kind entwickelt eine Misserfolgserwartung, die sich auf andere Schulfächer überträgt.
- Das Kind bezeichnet sich selbst als „zu dumm“.
- Psychosomatische Reaktionen treten auf: Schlafstörungen, Kopfweh, Übelkeit.
- Das Kind nimmt in der Klasse eine Außenseiterrolle ein, wird gehänselt.
Die aufgeführten Beispiele erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit, dazu sind die Symptome im Einzelnen zu individuell und vielfältig. Wenn Sie ihr Kind in der Darstellung „wiederfinden“, ist eine gezielte professionelle Abklärung notwendig.
Verfasst von:
Elke Kauschinger
Diplom Psychologin
von 1999 bis 2011 Mitglied der Institutsleitung
Lesen Sie bitte hier weiter:
Rechenschwäche – was ist das?
Wie wir helfen bei Rechenschwäche
Effektivität unserer Therapien
Fallbeispiel